Von der Richterbank ins Atelier: Eva Lösche und die leuchtende Welt der Synästhesie
Wenn Zahlen nach Farben schmecken und Buchstaben Töne tragen, entsteht eine Kunst, die jenseits von Regeln und Paragraphen lebt. Eva Lösche, lange Jahre als Strafrichterin im Dienst der Gerechtigkeit, begeistert heute ein internationales Publikum mit ihren Werken. Ihre Malerei ist das farbenfrohe Gegengewicht den Abgründen der Menschlichkeit. Warum Eva Lösche lange Zeit nur heimlich malte, lesen Sie in diesem Artikel.
Zwischen Recht und Farbe
Eva Lösche spürte schon als Kind eine ungewöhnliche Anziehungskraft der Farben. Lange wusste sie nicht, dass ihre besondere Wahrnehmung einen Namen trägt: Synästhesie. Bei dieser seltenen neuronalen Verbindung der Sinne erscheinen Zahlen, Buchstaben und Worte als Farbräume. Während andere ihre Welt in klar abgegrenzten Sinneseindrücken erleben, mischen sich bei ihr Töne, Formen und Farbtöne zu einem ständigen inneren Kaleidoskop. Trotz dieser außergewöhnlichen Gabe entschied sich Lösche zunächst für eine ganz andere Laufbahn. Sie studierte Jura in Mannheim, angetrieben von einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Im Laufe der Jahre stieg sie auf zur Direktorin des Amtsgerichts Weinheim. Dort verhandelte sie über Jahre hinweg schwerste Strafsachen – Fälle, die menschliche Abgründe offenbaren und enorme psychische Belastung mit sich bringen. Kolleginnen und Kollegen kannten sie als nüchterne Juristin, die sich von nichts aus der Ruhe bringen ließ. Doch nach Dienstschluss suchte sie den Ausgleich, den nur die Kunst ihr geben konnte.

Farbwelten als Ventil und Motor
„Wenn ich nicht male, werde ich unausgeglichen“, sagt Eva Lösche heute ohne Zögern. Das Malen war für sie nie bloß ein Hobby, sondern ein lebensnotwendiger Prozess. Nach besonders aufwühlenden Verhandlungen zog sie sich in ihr Atelier zurück, um Schicht um Schicht Farbe auf die Leinwand zu bringen. Dabei entstehen Werke von bis zu drei Metern Höhe, deren Entstehungstage oft von festen Ritualen begleitet sind: Grüner Tee steht stets bereit, der rote Malkittel ist ein Muss. Sie arbeitet spontan und vielseitig – Pinsel, Spachtel, Plexiglasplatten, Holzgriffe oder einfach die bloßen Hände dienen als Werkzeuge.
Der Schaffensprozess ist intensiv und vielschichtig. Meist beginnt sie mit mehreren Leinwänden gleichzeitig und trägt zunächst großflächig farbige Hintergründe auf. Dann folgt eine Phase des Trocknens, ehe neue Farbschichten dazukommen. Bis zu acht oder neun Schichten können es am Ende sein, jede geprägt von einer rein emotionalen Entscheidung. „Ich verarbeite damit nicht das Dunkle, ich setze ihm etwas entgegen“, erklärt sie. Die entstehenden Bilder sind laut, bunt, manchmal geradezu schreiend – ein bewusster Kontrast zu den bedrückenden Geschichten aus ihrem Berufsleben.
Ein später Schritt in die Öffentlichkeit
Lange hielt Eva Lösche ihre Kunst verborgen. Als Richterin stand sie regelmäßig im Fadenkreuz krimineller Strukturen. Mit Klarnamen in der Öffentlichkeit stehen also undenkbar. Doch 2023 änderte sich alles. Nach einem aufreibenden Großverfahren, das ihr sogar Polizeischutz und die Warnung des Verfassungsschutzes einbrachte, wurde die Belastung zu groß. Krank von der ständigen Anspannung entschloss sie sich, einen Teil ihrer Persönlichkeit nicht länger zu verstecken. Unter anderem das Rathaus im Odenwald bot an, ihre Arbeiten auszustellen. Die Resonanz war überwältigend: 150 Besucher kamen zur Vernissage, neun Bilder wurden sofort verkauft. Dieser Durchbruch führte zu einer Serie weiterer Einladungen. Heute, nur wenige Jahre später, ist ihr Ausstellungskalender bis 2026 gefüllt. Sie präsentierte ihre Werke auf einer renommierten Kunstmesse in London, wo zahlreiche Arbeiten neue Besitzer fanden, und erhielt eine Galerievertretung in Lissabon. Auch in Deutschland wächst ihr Netzwerk: Die Galerie HermyM in Bremerhaven und Iserlohn vertritt sie offiziell. Besondere Verkäufe? Eine Arztpraxis erwarb erst kürzlich zwei großformatige Werke für das Wartezimmer ihrer Krebspatienten – ein Beweis dafür, wie tröstlich und lebendig ihre Bilder auf Betrachter wirken können.

Die Sprache der Farben
Für Eva Lösche ist jede Leinwand ein offenes Gespräch. Ihre Farbwelt folgt keiner rationalen Planung, sondern dem inneren Fluss ihrer Synästhesie. Die Betrachter ihrer Bilder spüren oft eine tiefe Verbindung und reagieren oft mit persönlichen Rückmeldungen. „Viele schreiben mir, was sie alles in meinen Werken entdecken. Wenn meine Kunst etwas in jemandem auslöst, ist das das größte Kompliment“, erzählt sie. Ihre Malerei ist abstrakt und dennoch emotional greifbar. Sie will keine konkreten Botschaften transportieren, aber sie hofft, dass die Farben als „Sprache der Seele“ wirken. Jede Schicht, jede Geste, jeder Farbstrom erzählt etwas über den inneren Zustand der Künstlerin – und lädt das Publikum ein, eigene Empfindungen hineinzulegen. So wird jedes Werk zu einem Dialog zwischen Künstlerin und Betrachter, ohne dass ein Wort gesprochen werden muss. Aktuell arbeitet die Künstlerin vor allem an neuen Werken. “Seit kurzem taucht immer wieder Bambus in meinen Bildern auf”, sagt sie. Ihre Sammler dürfen sich also schon bald über neue Malerein freuen.
Die Freiheit durch die Kunst
Für die ehemalige Richterin bedeutet dieser Weg nicht nur künstlerischen Erfolg, sondern auch ein Stück gelebte Freiheit. Keine Vorschriften, keine Urteile, keine strengen Fristen bestimmen hier den Alltag. Stattdessen entstehen Räume aus Licht und Farbe, die das Dunkle des Gerichtssaals aufwiegen und verwandeln. Eva Lösche hat bewiesen, dass sich Recht und Kunst nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig befruchten können. Ihre Karriere zeigt, wie sich aus innerem Zwang und tiefer Wahrnehmung eine kraftvolle künstlerische Stimme entwickelt – eine Stimme, die laut und bunt spricht und doch die leisen Töne der Seele nie vergisst.
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