Der Mensch als Kunstwerk: Sabina Bockemühl über Neo-Expressionismus und menschliche Einzigartigkeit
Bockemühl vereint in ihren Werken, Neo-Expressionismus, abstrakten Pop- Realismus und Urban Street Art zu einer einzigartigen Handschrift. Ihre Kunst hebt sich durch das Zusammenspiel von zwei- und dreidimensionalen Strukturen hervor, die in leuchtenden Farben und plastischen Kompositionen das Auge fesseln. Für Sabina ist die Kunst ein Weg, das Wesentliche zu enthüllen und die Einzigartigkeit der Menschen darzustellen. Ob sie Landschaften interpretiert oder ihre berühmten Charakterköpfe schafft – ihre Arbeiten laden dazu ein, Vertrautes neu zu entdecken und die Schönheit des Unerwarteten zu sehen.
Warum haben Sie sich für eine künstlerische Laufbahn entschieden?
Ich bin im Atelier meines Vaters aufgewachsen. Mit 9 Jahren habe ich bereits mein erstes Ölgemälde gemalt. Die Gerüche und die Stimmung im Atelier, haben mich schon damals fasziniert. Ich glaube, ich habe da schon geahnt, dass ich diese Leidenschaft einmal zu meinem Beruf machen werde. Jetzt, genau 50 Jahre später, erinnere ich mich noch an das Gefühl von Damals. Ich war ein Kind mit einer überschwänglichen Fantasie, meine Deutschlehrerin riet meinen Eltern, ich solle Schauspielerin werden. Neben der Theater-AG belegte ich auch Kunst-Leistungskurs. Mein damaliger Lehrer war auch selber freischaffender Künstler und inspirierte und ermutigte mich, den Weg als Künstlerin zu gehen. Mein Vater, der hauptberuflich Unternehmer in der Industrie war, bestärkte mich ebenfalls in meinem Wunsch Künstlerin zu werden. Allerdings wurde ich zuerst nach dem Abitur dazu verdonnert, eine kaufmännische Ausbildung zu machen, um eine gewisse Bodenhaftung zu behalten. Ich lebe tagtäglich mit und durch die Kunst, eigentlich bin ich die Kunst! Die zweite, große Priorität neben der Kunst in meinem Leben, war immer eine eigene Familie zu gründen und habe das auch in jeder Schaffensphase miteinander vereinbaren können. Dafür bin ich sehr dankbar.

Was inspiriert Sie jeden Tag zu Ihrer Arbeit?
Das Leben! (lacht) Ich habe feste Rituale, die es mir ermöglichen, die Bodenhaftung nicht zu sehr zu verlieren. Ich wohne in einer wunderschönen Landschaft und gehe morgens in der Natur laufen. Dort nehme ich schon meine ersten Eindrücke auf, die in meine Bilder mit einfließen. Alle Gedanken in meinem Kopf kann ich auf diese Art und Weise ordnen und sortieren. Ich bin täglich in meinem Atelier, einem Raum, in dem die Energie fließt. Ich lasse mich ständig von vielen Dingen inspirieren, von Menschen, Musik, Gerüchen und Stimmungen, die mir im Alltag und auf meinen Reisen begegnen.
Welche Themen behandeln Sie in Ihrer Kunst und warum ist Ihnen das so wichtig?
Das ganz große Thema in meiner Kunst sind die Menschen. Ich habe viele Jahrzehnte gebraucht, um mich diesem Thema zu widmen. Zu groß war der Respekt, neben der puren Abbildung, das Wesen eines Menschen darzustellen. Mittlerweile habe ich dieses Thema stark ausgeweitet, z.B. in meiner Serie „Urban faces“, in der ich Menschen in ihrer Stadt treffe und später auf der Leinwand die starre Architektur der Stadt und den Menschen in seiner Verletzlichkeit vereine. Ich widme mich der Darstellung der Lebensgeschichten meiner ProtagonistInnen. Es geht mir um die Interaktion mit meinem Gegenüber, ich öffne mich in dieser Situation und wünsche mir, dass die Menschen erkennen, wo ihre authentische Kraft und Kreativität liegt. Meine Bilder sollen dazu beitragen, gemeinsam eine Welt zu schaffen, die von gegenseitigem Respekt, Neugier und Offenheit geprägt ist. Durch Kunst und Kultur, welche ich in meinen Werken vereine, möchte ich Verbindungen stärken und das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur bewahren.
.jpg)
Welcher Aspekt des kreativen Prozesses gefällt Ihnen am besten?
Alles ist täglich aufregend und neu. Mein Credo lautet: „Kunst ist ein ewiges Finden und sinnliche Erfüllung!“ Das größte Glücksgefühl empfinde ich, wenn die Idee zu einem neuen Bild steht. Wenn etwas ganz Neues, Einzigartiges in meinem Kopf entstanden ist. Das ist der erste und wichtigste Schritt im Prozess. Die größte Hürde ist den Kopf auszuschalten und den Respekt vor der weißen Leinwand zu verlieren. Die größte Befriedigung ist, wenn ich es schaffe, nicht mehr zu denken und in diesem sehr hohen Energielevel dem Schaffensprozess freien Raum zu geben.
Wie würden Sie Ihre Technik beschreiben?
Ich bin eine figurative Malerin und arbeite im neoexpressionistischen Stil. Zunehmend verwende ich Mixed-Media-Techniken, in denen ich in letzter Zeit auch selbstgemachte Fotografien integriere. Ich arbeite ausschließlich mit Acrylfarben, vorwiegend mit Pinseln und Spachteln. Zusätzlich verwende ich Kohle, Graphit, Pastell- und Ölmalkreiden. Schon früh kam ich mit der Künstlerin Elvira Bach in einen persönlichen Kontakt. Sie ermutigte mich mit dem Satz: „Du hast die Fähigkeit und Gabe alles zu malen, was du willst!“ Ihre freie und expressionistische Ausdrucksweise und ihr unverkennbarer Malstil haben mich beeindruckt und beeinflusst. Im Laufe der Jahrzehnte ist mein Malstil vielschichtiger und freier geworden.
Beginnen Sie Ihre Arbeit mit einem vorgefassten Konzept oder einer Vorstellung davon, was Sie erreichen möchten, oder ist das Ergebnis unerwartet?
Beides, erst einmal habe ich ein grobes Konzept und eine Vision vor Augen. Im Schaffensprozess lasse ich mich jedoch auf Eingebungen und Zufälle ein. Dies ist für mich extrem wichtig, um nicht zu sehr in dem Konzept zu verharren. Ich lasse mich immer von spontanen Ideen beeindrucken, zufällige Entwicklungen sind mir willkommen. Es ist auch möglich, dass ich das ganze Konzept umwerfe, das Bild auf den Kopf drehe und neu beginne. Was ich nie plane und was immer spontan ist, ist die Wahl meiner Farben und deren unendlichen Zwischentöne.
.jpg)
Wie wissen oder entscheiden Sie, wann ein Kunstwerk fertig ist?
Ob ein Kunstwerk von mir fertig ist, entscheide ich nie an dem Tag, an dem ich „glaube“ dass es fertig ist. Grundsätzlich hat sich die Entscheidung, ob ein Gemälde fertig ist, intuitiv und mit meinem langjährigen, geschulten Blick entwickelt. Aber am wichtigsten ist, ob es bei mir die Emotionen auslöst, die ich mit dem Thema verbinde und die ich bereits beim Malen empfunden habe. Hat es diese Voraussetzungen erfüllt, hänge ich es an einen freien Nagel in meinem Atelier, wo ich es in den nächsten Tagen immer wieder aus den verschiedensten Perspektiven und bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen betrachte. Hat es Bestand, wird es von mir signiert. Der Blick durch den Fotoapparat, oder abends durch ein gegenüber liegendes Fenster gespiegelt, vereinfacht mir diese Entscheidung.
Welche anderen kreativen Menschen, Bücher, Musik oder Filme inspirieren Sie?
Zunächst einmal wurde ich, wie ja bereits erwähnt, von meinem Vater inspiriert, der es schafft, mit Farben auf einen weißen Untergrund Licht und Schatten und Stimmungen einzufangen. In meiner Jugend verbrachte ich die Sommer immer in Spanien, in der Nähe des Anwesens von Salvador Dali in Cadaqués. Sein Werk, die Persönlichkeit und das Leben Dali’s beeinflusste mich damals sehr. Auch wenn sein Malstil meinen eigenen nicht beeinflusst hat, so habe ich doch die extreme Liebe zum Detail, die Fantasie meine eigenen Träume darzustellen und den Wunsch, einen eigenen, unverwechselbaren Malstil zu entwickeln, von ihm übernommen. Musik begleitet mich bei jedem Arbeitsschritt. Im Atelier meines Vaters hörten wir immer Jazzmusik, da mein Vater auch Jazzmusiker ist, Soul und Klassik ist das bevorzugte Genre, das heute bei mir im Atelier läuft.

Haben Sie bestimmte Rituale oder unverzichtbare Gegenstände im Atelier?
Als erstes, nachdem ich mich umgezogen habe, setzte ich mich in den alten, roten plüschigen Ohrensessel meiner Großmutter und lasse die Stimmung und die Bilder im Atelier auf mich wirken. Ich nenne ihn meinen „Inspirations-Sessel“. Ein weiteres Ritual ist die Auswahl der Musik. Die Art der Musik wechselt nach meinen jeweilig aktuellen Stimmungen. Anschließend richte ich mir von allen meinen Farben größere Mengen in Malschalen her, damit ich im Malprozess nur noch zugreifen muss, ohne nachzudenken. Wie bereits erwähnt arbeite ich überwiegend mit Pinseln und Spachteln, aber auch Schwämme kommen zum Einsatz. Für meine Mixed-Media-Techniken verwende ich diverse Spachtelmassen, Kohle, Kreiden und Pastelle.
Arbeiten Sie mit Beispielen aus dem wirklichen Leben oder basieren Ihre Werke hauptsächlich auf Fantasie?
Letztlich entstehen meine Werke aus der Fantasie, für die Umsetzung verwende ich aber durchaus reale Vorlagen. Zum Beispiel bei dem Gemälde „Dreamworld – Fly little bird“ habe ich als Basis ein von mir fotografiertes Porträt einer jungen Frau verwendet, die über ihre Schulter blickt und den Betrachter mit ihrem Blick fixiert. Indem ich die Malerei immer wieder mit einer Stahlbürste entfernt und dann wieder aufgetragen habe, bekommt das Gemälde einen verblassten, verträumten Touch aus der Vergangenheit. Ich nenne diese Technik „Aufbau und Zerstörung“. Während mich ihre Augen fixieren, lege ich alle meinen eigenen Emotionen in diese Person. Es ist ein Gefühl von Zartheit und Zerbrechlichkeit, von Freude und Schmerz. Dann kommt mir die Idee, ihr einen kleinen Vogel an die Seite zu stellen, der symbolisieren soll, dass es immer die Möglichkeit gibt loszufliegen und seinen Käfig zu verlassen. Final nenne ich das Bild „Dreamworld – Fly little bird“.

Wie kommen Sie auf die Titel Ihrer Kunstwerke?
Der Titel hat eine große Bedeutung für das Kunstwerk. Die Ideen zu den Titeln kommen mir in aller Regel schon im Malprozess. Ich kann gar nicht sagen, wie es dazu kommt, plötzlich ist der Titel einfach da. Ich sage immer „mein Bild spricht zu mir“. Wichtig ist mir, dass der Titel das aussagt, was ich bei dem Bild empfinde, aber immer genug Interpretationsspielraum für den Betrachter und seine eigenen Empfindungen lässt.
Würden Sie uns mehr über Ihr derzeitiges Projekt erzählen - woran arbeiten Sie?
Mein aktuelles Projekt nennt sich „Dreamworld“ und ist eine Serie. Hier arbeite ich wieder in einer Mixed-Media-Technik aus eigenem Fotomaterial und Malerei. In dieser Serie lasse ich die realen Elemente der Fotografie und die Abstraktion in meiner Malerei miteinander verschmelzen. Hier arbeite ich überwiegend figurativ, lasse meine Protagonisten aber stark in der Abstraktion, in den „Traum“ abgleiten. Ich möchte den Betrachtenden einladen, sich mit den Protagonisten zu identifizieren, bzw. zu versuchen in dem Gemälde seine eigenen Gedanken, Gefühle oder auch Erlebnisse zu erkennen.

Wo möchten Sie gerne einmal ausstellen und warum?
Natürlich wäre es etwas hoch gegriffen zu sagen, ich würde gerne einmal im MOMA hängen. Aber träumen ist ja erlaubt. (Lacht) Ich würde gerne in jeder großen Metropole durch eine namhafte Galerie vertreten sein! Außerdem würde ich mir für 2026 das Ziel setzen, in Deutschland auf den großen Kunstmessen vertreten zu sein. Ich denke, dass es extrem wichtig ist, dass meine Kunst gesehen wird, denn nur wenn die Bilder viele Menschen erreichen, können auch meine Botschaften bei den Betrachtenden ankommen und somit einen Mehrwert für sie darstellen.
Wo sehen Sie Ihre Künstlerkarriere in 5 Jahren?
Ich bin seit über 30 Jahren hauptberuflich freischaffende Künstlerin. In dieser Zeit habe ich unzählige Bilder gemalt und mich immer wieder neu erfunden. Ich habe die verschiedensten Techniken ausprobiert und dadurch einen großen Erfahrungsschatz gewonnen. Ich habe Krisen durchlebt und bin immer wieder gestärkt daraus hervorgegangen. Es ist eine Herausforderung von der Kunst zu leben. Trotzdem habe ich meinen beruflichen Weg niemals in Frage gestellt. Ich habe viel erreicht, habe in diversen nationalen Museen ausgestellt und viel Anerkennung erfahren. Jetzt ist es an der Zeit für den nächsten Schritt. In 5 Jahren sehe ich mich auf der großen, internationalen Kunstbühne, noch bin ich jung genug 😉 Als Maria Lassnig mit 94 Jahren starb, blickte sie auch wehmütig auf ihre Karriere zurück. Sie sagte sinngemäß, dass sie erst im hohen Alter die verdiente Anerkennung bekam, in einem Alter, in dem sie es nicht mehr richtig genießen konnte.