"Bilder wählen ihre Menschen" – Karen Kieback und die Kunst des Loslassens

"Bilder wählen ihre Menschen" – Karen Kieback und die Kunst des Loslassens

Karen Kieback hat nie gefragt, ob sie malen darf – sie hat es einfach getan. Schon als kleines Mädchen war sie wie magisch angezogen von Farben, Formen und Figuren. Heute lebt die gebürtige Husumerin als freischaffende Künstlerin im Ostseebad Laboe und zählt zu den eigenwilligsten Stimmen der norddeutschen Kunstszene. Ihre Bilder sind kraftvoll, oft wild und gleichzeitig voller leiser Spiritualität. Sie erzählen von Mut, von Aufbruch und von radikaler Freiheit. Warum sie bewusst mit der Norm bricht und mit ihrem ganz eigenen Stil die Kunstwelt fasziniert? Das lesen Sie in diesem Artikel.

Wann fühlt sich die Malerei für Sie wirklich frei an? Kieback sagt: „Freiheit ist Wachheit. Ich male ohne Vorzeichnung, folge Impulsen, erlaube Zwischenruinen und Übermalungen. Keine Anarchie – eher ein klares Ja zum Risiko.“

Wiederkehr 200x200 cm

Ein Leben abseits der Angepasstheit

Schon als Neunjährige gewann Karen ihren ersten Malwettbewerb, wählte später Kunst als Leistungsfach, träumte von einem Studium – doch der klassische Weg blieb ihr verschlossen. Statt Resignation wählte sie Eigenständigkeit: Sie bildete sich zur Grafikdesignerin aus, ganz ohne Akademie, und fand so ihre persönliche Freiheit. „Ich will tun und lassen, was ich will“, sagt sie rückblickend, „das war immer mein Motor.“ Von der Illustration führte der Weg bald in eine experimentelle Ölmalerei. Lack, Rost, Kreide, Tusche, Edding – alles kann Teil ihrer Werke werden. Kieback malt in einem einzigen Fluss, ohne Vorzeichnung, manchmal am Strand, manchmal mitten im Lärm, umringt von Menschentrauben. Sie sucht nicht die äußere, sondern die innere Stille. „Ich kann überall arbeiten, wenn die Ruhe in mir ist“, erklärt sie. Oft tauchen während des Malens spontan Worte auf, die sie in großen Lettern auf die Leinwand setzt, ohne zu merken, was sie schreibt. Dieser intuitive, fast tranceartige Prozess ist für sie ein Akt des Loslassens: „Es geht nicht ums Können, es geht ums Ausdrücken.“


Wie zeigt sich Intuition in Ihrem künstlerischen Prozess? Kieback erklärt: „Ich höre auf Atem und Rhythmus. Wenn die Hand schneller denkt als der Kopf, stimmt die Richtung. Material darf mitreden: Salz vom Strand, Rost, Lack – alles, was Energie trägt.”

Karen Kieback im Atelier

Resonanz und Spiritualität

Ihre Werke strahlen eine ungezähmte Energie aus und zugleich etwas zutiefst Mystisches. Es ist eine spirituelle Erfahrung, ein Dialog zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Sie möchte Menschen Mut machen, ihre eigenen Träume zu verfolgen, auch wenn es nur für einen Augenblick ist. Bei Ausstellungen, erzählt sie, bleiben Besucher oft wie gebannt vor bestimmten Bildern stehen, als hätten Werk und Betrachter einander gesucht. „Bilder wählen ihre Menschen aus“, sagt sie. Dieses Phänomen empfindet sie nicht als Zufall, sondern als Teil einer unsichtbaren Verbindung, die sich zwischen Kunstwerk und Betrachter aufbaut. Manche Gäste berichten von einem Gefühl der Befreiung, andere von einer plötzlichen Erinnerung. Für Kieback sind solche Momente die eigentliche Belohnung.


Wann wird Spiritualität im Raum spürbar – und woran merken Sie, dass das Bild den richtigen Menschen gefunden hat? Kieback erklärt: „Manchmal wird der Raum fast unmerklich still - keine leere Stille, sondern eine Stille voller Bedeutung. Ein Mensch hält inne und verweilt mit einem fast sehnsüchtigen Blick vor dem Bild. Aus dieser Begegnung erwächst ein Moment voller Resonanz und stillen Verstehens. Eine Rückverbindung zu etwas, was schon immer da war. Dann weiß ich: Das Bild ist angekommen.”

Wie eine Riesenwunderblume 110x110 cm

Eine Heldenreise

Die Werkreihe „Heldenreise“ ist für die Künstlerin wahrscheinlich die bisher prägendste. Jedes Werk dieser Reihe steht für eine Etappe der inneren Wandlung – von der Entscheidung, den sicheren Hafen zu verlassen, über Herausforderungen und Selbstbegegnungen bis hin zur Rückkehr, bereichert um neue Erkenntnisse. Die Künstlerin beschreibt diesen Prozess als „ein Entfesseln und eine Befreiung aus der Umklammerung eines Lebens, das nicht mehr zu uns passt“. Diese Gedanken übersetzt sie in breite Pinselzüge, gespachtelte Flächen, immer wieder Übermalungen, als würde sie selbst auf der Leinwand ringen. Es sind keine glatten Bilder, sondern solche, die von Widerstand erzählen – und von dem Triumph, ihn zu überwinden. Wer vor diesen Arbeiten steht, spürt die Energie eines Weges, der nie geradlinig verläuft, sondern Umwege und Brüche kennt.


Was ist der mutigste Moment im Entstehen eines Bildes? Kieback betont: „Der Absprung. Der Moment, in dem ich die erste Schicht riskiere – wissend, dass ich sie später zerstören könnte. Furchtlosigkeit heißt nicht ohne Angst, sondern mit ihr arbeiten, bis sie zur Farbe wird.“

Eine Reise ohne Ende

Karen Kiebacks Malerei ist eine fortwährende Heldenreise, ein Abenteuer zwischen wilder Kraft und zarter Berührung. Sie verbindet die Weite ihrer norddeutschen Heimat mit einer kompromisslosen inneren Freiheit. Jedes Werk ist ein Eintauchen in Träume, Erinnerungen und die tiefe Stille, die selbst im Sturm des Lebens zu finden ist. Wer ihre Bilder betrachtet, ahnt, dass Kunst hier mehr ist als Farbe auf Leinwand – sie ist ein Lebensgefühl, das sich weigert, je gezähmt zu werden.

Fotos: Pat Scheidemann

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Weitere Informationen und aktuell verfügbare Werke unter:
www.karen-kieback.de